Steißbeinfistel - Entstehung und Verlaufsformen
Wie entsteht eine Steißbeinfistel?
Vom Anfangsstadium bis zur ausgedehnten Steißbeinfistel
Die Steißbeinfistel Entstehung ist keine Folge einer Fehlbildung bei der embryonalen Entwicklung.
Vielmehr sind in die Unterhaut (Subkutis) eingedrungene Haare die Ursache. Haare bestehen aus Keratin. Der Körper hat keine Enzyme, um Keratin abzubauen. Infolgedessen werden Haare als Fremdkörper behandelt
In Reaktion des Körpers auf diesen Fremdkörper entsteht eine Hülle aus Narbengewebe, die Fistelkapsel. Man nennt diesen chronisch entzündlichen Prozeß auch ein Fremdkörpergranulom.
Kann eine Steißbeinfistel gefährlich werden? Keine Sorge, aus einer Steißbeinfistel entsteht nie eine Verbindung zu Darm, Knochen oder Rückenmark.
Vom Aussehen können Fisteln bei Akne inversa und Analfisteln mit einem Ausgangspunkt im Enddarm mit einer Steißbeinfistel verwechselt werden.
Entstehung der Steißbeinfistel - Alle wichtigen Fakten
Der "Pit" - Ursache des Sinus pilonidalis
Lord bezeichnete die bei jeder Steißbeinfistel in der Mitte der Gesäßfalte zu findende Öffnungen bzw. Eintrittspforten als Pit. Sie werden auch Porus (lat. Durchgang, Tor) oder Primärfistel genannt. Sie verstecken sich gerne in der Tiefe der Falte.
Manche Patienten haben nur einzelne, andere eine Vielzahl dieser perlschnurartig aufgereihten Öffnungen. Sie sind das verläßliche Kennzeichen der Steißbeinfistel.
Die Größe dieser Pits reicht von kaum sichtbaren, schwarzen Punkten bis zu einigen Millimeter großen Löchern. Manchmal stecken abgebrochene, lose Haare darin, aus manchen läßt sich wie bei einem Mitesser (Komedo) ein weißliches, pastöses Sekret ausdrücken.
Die Pits sind mit Haut ausgekleidet und können sich daher von selbst nicht mehr schließen. Sie werden zur Eintrittspforte von Bakterien und damit zur Ursache wiederkehrender Entzündung. Ardelt fand heraus, daß primär anaerobe und gramnegative Bakterien, bei Rezidiv zunehmend aerobe und grampositive Bakterien eine Rolle spielen.
So ist der sacrococcygeale Pilonidalsinus ungeachtet unterschiedlicher Ansichten zu seiner Entstehung, pathologisch ein infiziertes Fremdkörpergranulom.
BASCOM: Pits entstehen aus Haarwurzeln
“Im Gegensatz zu den gängigen Vorstellungen sind die meisten Pilonidal- (fisteln) offenbar nicht durch (eingespießte) Haarschäfte verursacht. Stattdessen scheinen die Haarfollikel die Quelle zu sein.” (Bascom 1980)
Im Mikroskop sah Bascom eine schrittweise Entwicklung von einer normalen Haarwurzel (Follikel) zum Pit. Er beschrieb Pits unterschiedlichen Stadiums nebeneinander beim gleichen Patienten. Häufig waren alle Haare in einer Fistel gleich lang wiesen ein terminales Ende auf. Abgebrochene Haare sowie Keratin- und Hautschuppen füllten die Haarwurzel aus.
Weiterhin konnten Sogkräfte beim Hinsetzen und Aufstehen gemessen werden (“the pit sucks”).
KARYDAKIS: Pits entstehen durch Einspießen von losen Haaren
Pfeilspitzen und Widerhaken
Für Karydakis war die Sache klar. Die “pits” entstehen nach seiner Überzeugung durch Einspießen von abgebrochenen Haaren. Rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen von Dahl (1992) stützen diese Theorie, dass sich Haare spalten und in die Haut bohren.
Nadelartige, scharfe Enden, wie sie beim Haareschneiden entstehen, ermöglichen das Eindringen in intakte Haut. Die Schuppen aus Keratin wirken wie Widerhaken. Mit der ehemals der Wurzel zugewandten Seite voraus arbeitet sich das Haar immer tiefer in die Haut.
Page konnte 1969 experimentell beweisen, daß sich ein Haar beim Sitzen nach 30 min schon mehrere Zentimeter in einem Pit vorarbeiten kann, nicht aber, wenn es mit der Spitze zuerst eindringt. Die Bewegung in Richtung der Haarspitze wird verhindert, das Haar kann sich von selbst nicht mehr lösen.
Mit dem Mikroskop und einem Forensiker auf Spurensuche
Neuere Untersuchungen von Doll und Bosche scheinen zumindest 20 – 30 % der Patienten diese Theorie zu stützen. Vor allem Haare aus dem Nackenbereich fanden sich häufig in der Fistel. Demnach wären häufige Friseurbesuche und Haarschnitte mit kurz rasierten Nackenhaaren ein Risikofaktor für eine Steißbeinfistel.
Wir finden vielleicht bei 10-20 % unserer Patienten lose Haare vom Nacken oder Rücken im Inneren des Fistelschlauchs. Bei jeder Vorstellung liegen lose Haare unterschiedlicher Länge in der Gesäßfalte. Auch ungewöhnliche Quellen der eingedrungenen Haare haben wir schon gesehen, so über 10 cm lange Locken (von der Freundin) bei einem jungen Mann mit Bürstenhaarschnitt und grau-schwarze kurze Haare (vom Schlittenhund) bei einer blonden Frau mit Langhaarfrisur.
Haarwachstum im Fistel-Tunnel?
In Einzelfällen findet man in einem aufgeschnittenen Fistelschlauch ein geordnetes, bürstenartiges Bild eines Rasens von zarten, kurzen Haaren.
Diese Form habe ich in der medizinischen Literatur nicht beschrieben gefunden und habe auch selbst keine Erklärung für diese Erscheinungsform.
Risikofaktoren für die Steißbeinfistel
Bezogen auf unsere eigenen Patienten haben wir den Eindruck, dass das Klischee vom stark behaarten, übergewichtigen und viel schwitzenden Steißbeinfistel Patienten mit der Realität nicht viel zu tun hat. Wir wollen daher einmal in medizinischen Publikationen recherchieren, welche Umstände tatsächlich das Risiko für eine Steißbeinfistel erhöhen. Die nachfolgende (“under construction”) Tabelle wird Ihnen einen Überblick über die Studienergebnisse geben.
Autor | Jahr | m : w | Behaarung | Familie | Hygiene | Übergewicht | Rauchen | Sitzen | Exposition | Schwitzen |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Sondenaa | 2004 | 2,2 : 1 | 21 % | 38 % | 7 % | 39 % / 29 % | k.A. | 44 % | k.A. | k.A. |
Franckowiak | 1962 | 3 : 1 | + | – | k.A. | 67 % / 37 % | k.A. | k.A. | k.A. | k.A. |
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Wahrscheinliche Risikofaktoren sind
(Starke) Behaarung
Viele Haare = hohes Risiko? Vor der Pubertät gibt es keine Steißbeinfistel. Viele der von einer Steißbeinfistel betroffenen Patienten sollen eine überdurchschnittlich dichte und kräftige Behaarung aufweisen. In einer norwegischen Studie war hingegen die Zahl der Patienten mit geringer Behaarung größer.
Möglicherweise hängt der Prozentsatz stark behaarter Patienten mehr davon ab, auf welchem Breitengrad die Studie durchgeführt wird. Demzufolge würde eine Untersuchung aus dem Norden Europas weniger intensive Behaarung unter den Patienten mit Steißbeinfistel finden als eine Studie aus dem Mittelmeerraum. Auch die Zuverlässigkeit der Einordnung scheint mir fraglich, gibt doch kaum eine Studie die Methodik an, mit der die Dichte der Behaarung gemessen wurde.
Dunkle und kräftige Haare werden nicht zuletzt auch einfach mehr wahrgenommen als eine zahlenmäßig gleich starke, bei geringerem Pigmentgehalt und Durchmesser der Haare aber weniger auffällige Behaarung.
Männliches Geschlecht
Männer sind von Steißbeinfisteln 2 – 3 mal so häufig betroffen wie Frauen. Deshalb wird die Diagnose bei Frauen oft spät gestellt. Wir haben nicht wenige Patientinnen, die trotz zarter, kaum sichtbarer Haare eine Steißbeinfistel bekommen haben. In der Nachbehandlung muss man besonders aufpassen, dass diese nachwachsenden Haare nicht die Heilung stören.
Familienanamnese
Angehörige von Steißbeinfistel Patienten scheinen ein etwas höheres Risiko zu haben (Yildiz). Nicht selten haben mehrere Geschwister eine Steißbeinfistel. Auch über mehrere Generationen werden immer wieder familiäre Häufungen berichtet. Die Forschung hat aber bis heute keinen molekularen, genetischen Faktor gefunden, der dafür verantwortlich wäre.
Sitzende Tätigkeit
Wer hat die nicht? Einen Großteil unseres Lebens verbringen wir im Sitzen, in der Schule und Universität, im Büro oder im Auto. Statistiken der Streitkräfte zeigen dennoch, daß Kraftfahrer und Soldaten niederen Ranges ein deutlich höheres Risiko für die Entwicklung einer Steißbeinfistel haben als Offiziere. Besonders das Fahren auf holprigen Straßen oder im Gelände scheint die Entstehung oder auch die Entzündung einer vorhandenen Steißbeinfistel zu fördern (“Jeep disease”)
Fragliche Risikofaktoren
Übergewicht?
Manche Studien fanden ein Übergewicht gemessen am BMI > 25 häufiger bei Patienten mit Steißbeinfistel als in der Kontrollgruppe (entspricht z.B. einem Körpergewicht über 90 kg bei einem 185 cm großen, 20 Jahre alten Mann). Unsere Patienten sind fast alle normal gewichtig oder athletisch.
Mangelnde Hygiene?
Man bekommt eine Steißbeinfistel nicht allein davon, dass man sich zu wenig wäscht. In Studien fand man ein erhöhtes Risiko der Entwicklung einer Steißbeinfistel, wenn man seltener als dreimal pro Woche duscht oder badet
Rauchen?
Die haarbedingte Steißbeinfistel ist nicht häufiger bei Rauchern als bei Nichtrauchern. Mischformen mit der Akne inversa findet sich fast nur bei Rauchern und sind gekennzeichnet durch komplizierte Fistelverläufe und häufigere Rückfälle.
Schwitzen?
Strings und Tangas?
Berufliche Exposition gegenüber Staub und Haaren?
Steißbeinfistel: 3 Verlaufsformen
Diese drei Ausprägungen der Steißbeinfistel unterscheiden sich lediglich im Ausmaß der Entzündung und Füllungszustand der Fistelhöhle.
Blande Form
Das Anfangsstadium einer Steißbeinfistel bleibt oft unbemerkt oder die Beschwerden sind gering. Unspezifische Schmerzen treten beim Sitzen auf harten Stühlen auf oder Liegen auf hartem Boden auf. Es fühlt sich an wie bei einem „Pickel“ oder einer Prellung. Manchmal treten außer einer sichtbaren Öffnung im Bereich der Gesäßfalte keinerlei Beschwerden auf.
Die blande Form sieht man in der Facharztpraxis am ehesten noch bei Vorsorgeuntersuchungen, z.B. bei der Hautkrebs – Vorsorge. Auch bei Reihen- und Einstellungsuntersuchungen für Polizei und Militär finden sich immer wieder zuvor nicht bekannte Steißbeinfisteln. Eine Studie aus der Türkei fand eine mit 8,3 % fast doppelt so hohe Prävalenz der blanden Form gegenüber 4,6 % für die symptomatische Form.
Akute Form
Ein Pilonidalabszess kann sich innerhalb weniger Tage entwickeln. Die zugrundeliegende Steißbeinfistel existierte unbemerkt schon vorher. Die typische Ausprägung mit einer geröteten, schmerzhaften Beule am Po bzw. in der Steißbeinregion erkennt man auf einen Blick. Die äußerlich sichtbaren Symptome können aber auch gering sein. Der Patient hat starke Schmerzen, obwohl man nicht viel sieht. Bei genauer Betrachtung ist eine Verhärtung zu tasten und die Haut wirkt auffällig. Die Pits sind schwellungsbeding oft nicht zu sehen. Manchmal berichten die Patienten, dass die Schmerzen nach einem Sturz begonnen hätten. Ein ursächlicher Zusammenhang ist nicht zu erklären. Nicht selten treten Beschwerden nach längerem Sitzen auf, wie bei Schülern und Büroangestellten oder nach langen Flugreisen.
Chronische Form
Manche Patienten haben nur leichte Schmerzen und bemerken das Vorhandensein der Fistel nur zufällig oder aufgrund der Absonderung von Blut oder Eiter. Die Besiedelung der Pilonidalfistel durch die in dieser Region immer vorhandenen Bakterien kann eine sehr unangenehme Geruchsentwicklung verursachen. Die Kapsel enthält oft viele Kollagenfasern und fühlt sich hart an wie Knorpel, so dass Irritationen beim längeren Sitzen ohne eigentliche Schmerzen auftreten. Manchmal entdecken die Patienten auch selbst kleine Öffnungen im Bereich der Gesäßfalte.