Antibiotika bei Steißbeinfistel

Ist schon ein Kraut gegen die Steißbeinfistel gewachsen? In Deutschland werden jährlich fast 5 Milliarden Euro für freiverkäufliche Arzneimittel ausgegeben, darunter 65 Millionen Packungen an Salben und Cremes. Doch nicht jedes Produkt hält, was es verspricht. In dieser Übersicht klären wir, welche Präparate wirklich einen nachgewiesenen Nutzen bei der Behandlung von Steißbeinfisteln haben und was Sie sich getrost sparen können. Erfahren Sie, welche Salben und Antibiotika sinnvoll eingesetzt werden können, um die Heilung zu unterstützen und die Symptome zu lindern.

Antibiotika

Medikamente
Gelb = geeignet unter bestimmten Umständen

Antibiotika systemisch (Tabletten, Infusion)

 

Antibiotika können eine Steißbeinfistel nicht heilen, aber sie bieten bei akuten Entzündungen eine Möglichkeit, die Symptome vorübergehend zu lindern und Zeit zu gewinnen. Dies ist besonders hilfreich, um etwa während eines Urlaubs die Beschwerden bis zur Rückkehr unter Kontrolle zu halten. Der Erfolg einer antibiotischen Therapie ist jedoch oft schwer vorhersehbar: Da in einer Steißbeinfistel häufig verschiedene Bakterienarten vorkommen, werden Breitbandantibiotika wie Cefuroxim oder Amoxicillin/Clavulansäure eingesetzt. Bei Penicillin-Allergien wird oft Clindamycin verabreicht. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass die Bakterien gegen das gewählte Antibiotikum resistent sind oder dass das Medikament die betroffene Stelle nicht in ausreichender Konzentration erreicht. Eine nachgewiesene präventive Wirkung gegen Wundinfektionen (surgical site infections, SSI) haben Antibiotika bei Operationen mit primärem Wundverschluss. In solchen Fällen erfolgt die Gabe meist zu Beginn der Operation als einmalige Infusion (Single-Shot-Antibiose) oder, seltener, als Kurzzeittherapie über drei Tage. Diese präoperative Antibiotikaprophylaxe verringert das Risiko postoperativer Infektionen deutlich.

Antibiotika topisch (Salben, Cremes, Puder)

 

In der modernen Medizin werden topische Antibiotika, also Antibiotika zur äußeren Anwendung, generell eher zurückhaltend eingesetzt. Dies liegt vor allem daran, dass ihr unbedachter Gebrauch das Risiko von Resistenzen erhöht und ihre Wirksamkeit auf tieferliegende Gewebe oft eingeschränkt ist. Dennoch können bestimmte topische Antibiotika in der Behandlung von Steißbeinfisteln eine Rolle spielen. Substanzen wie Metronidazol, Mupirocin, Fusidinsäure und Gentamycin besitzen gezielte antibakterielle Eigenschaften, die bei oberflächlichen Infektionen oder zur Reduktion der Bakterienlast hilfreich sein können. Sie werden in speziellen Fällen eingesetzt, etwa um lokale Entzündungen zu kontrollieren und die Heilung nach einer Operation zu unterstützen, ohne das Risiko systemischer Nebenwirkungen zu erhöhen.
Gelb = geeignet unter bestimmten Umständen
Jodsalbe oder Zugsalbe bei Steißbeinfistel
Jodsalbe oder Zugsalbe bei Steißbeinfistel?

Metronidazol 10 % Vaseline

 

Metronidazol ist seit 1959 als wirksames Antibiotikum gegen anaerobe Bakterien und Protozoen bekannt. Die chemische Formel lautet C₆H₉N₃O₃, und seine Struktur umfasst einen fünfgliedrigen Imidazolring. In den Zellen anaerober Bakterien und Protozoen wird Metronidazol aktiviert, wobei es zu Metaboliten umgewandelt wird, die mit der DNA der Mikroorganismen interagieren und deren DNA-Synthese hemmen. Aerobe Organismen und menschliche Zellen sind weitgehend resistent gegen diese Aktivierung. Neben seiner antibakteriellen Wirkung hat sich Metronidazol in der Dermatologie, insbesondere bei Rosacea und perioraler Dermatitis, als unspezifisch entzündungshemmend erwiesen. Zudem stimuliert es das Wachstum von Keratinozyten, den Zellen der Haut. In der Gynäkologie findet Metronidazol häufig Anwendung als Vaginalzäpfchen. In der Proktologie wurde eine 10-prozentige Metronidazol-Salbe erfolgreich zur Schmerzlinderung und Reduktion der Sekretbildung bei Analfisteln im Rahmen von Morbus Crohn sowie zur Schmerzlinderung nach Hämorrhoidenoperationen eingesetzt. Die Salbe wird gut vertragen, und allergische Reaktionen oder Missempfindungen treten selten auf. Metronidazol ist bei Raumtemperatur stabil, sollte jedoch vor Licht und Feuchtigkeit geschützt werden. Aufgrund der minimalen Resorption treten selten systemische Nebenwirkungen auf. Im Jahr 2016 wurde eine Pilotstudie zur Behandlung nicht heilender Wunden nach Sinus-pilonidalis-Operationen veröffentlicht. Die Heilungsrate lag bei beeindruckenden 80 % für Wunden, die zuvor durchschnittlich 16 Wochen lang nicht geheilt waren. Aufbauend auf diesen ermutigenden Ergebnissen läuft seit 2019 eine Langzeitstudie, deren Resultate 2023 erwartet wurden, aber aktuell immer noch nicht veröffentlicht wurden. Wenn nach der Operation einer Steißbeinfistel trotz optimaler chirurgischer Maßnahmen und Wundpflege keine Heilung eintritt, gibt es nur wenige therapeutische Alternativen. Viele Experten halten daher die Anwendung einer 10-prozentigen Metronidazol-Salbe für gerechtfertigt. Das Präparat Ortem™ der britischen Firma SLA Pharma wird auf Anfrage unter bestimmten Bedingungen verschickt, allerdings derzeit nur in Großbritannien. In Deutschland besteht die Möglichkeit, eine vergleichbare Salbe als Rezeptur in Apotheken anfertigen zu lassen. Da für diese Indikation keine Zulassung besteht, handelt es sich um eine “off label” Therapie, für die keine Produkthaftung eines Pharmakonzerns besteht. Ein Rezepturvorschlag für eine Metronidazol-Vaseline 10 % (50 g) lautet:
  • Metronidazol, mikronisiert 5,0 g
  • Miglyol® 812 6,0 g
  • Vaselinum album 39,0 g
Unsere bisherigen Erfahrungen mit dieser Rezeptur zeigen Heilungsraten von etwa 60 % bei problematischen Wunden nach Steißbeinfistel-Operationen. Die Verantwortung für eine solche Rezepturverordnung liegt beim verschreibenden Arzt, und es kann keine Haftung für die Wirksamkeit oder mögliche Nebenwirkungen übernommen werden.

Gelb = geeignet unter bestimmten Umständen

Fazit: 10 % Metronidazol als topische Zubereitung kann verwendet werden, wenn eine Wunde trotz Ausschöpfung etablierter Möglichkeiten nicht heilt.

Andere chemisch definierte Arznei-Stoffe

Zugsalbe

 

Diese Präparate sind als traditionelle Arzneimittel ohne Zulassungsstudien ausschließlich auf Grund langjähriger Anwendung für das Anwendungsgebiet registriert. Sie sollen die “Reifung” und spontane Eröffnung abgekapselter Eiterherde (Abszesse) fördern. Nachdem die meisten Abszesse irgendwann platzen, wenn man nur lang genug wartet, scheint mir der Nutzen dieser Präparate nicht belegt.
  • ilon® Salbe classic (Nachfolgeprodukt von ilon® Abszess-Salbe): Bestandteile sind Lärchenterpentin (Terebinthina veneta), Terpentinöl vom Strandkiefern-Typ Eukalyptusöl, Weißes Vaselin, Gelbes Wachs, Stearinsäure, Ölsäure, Polysorbat 20, Rosmarinöl, Thymianöl, Thymol, Chlorophyll- Kupfer-Komplex (E141), Butylhydroxytoluol (E321). Meine Literatur – Recherche zu “Terpentin” und “Abszess” ergab lediglich den Hinweis auf die Verwendung seit 2000 Jahren, die Verursachung von Abszessen durch Terpentininjektion bei Versuchstieren und Studien zu Kontaktallergien durch Terpentin.
  • Ichtholan 50% ® Salbe enthält den Wirkstoff Ammoniumbituminosulfonat (Ichthyol), Gelbes Vaselin, mikrokristalline Kohlenwasserstoffe (C40-C60), Wollwachs und gereinigtes Wasser. Ichthyol gehört zu den sulfonierten Schieferölen. Es wird seit dem 19. Jahrhundert als entzündungshemmender und antibakterieller Wirkstoff in der Dermatologie verwendet, in höheren Konzentrationen von 20 – 50 % auch beim Abszeß. Auch zu diesem Wirkstoff findet die medizinische Datenbank PubMed keine einzige Studie zur Behandlung von Abszessen.

Rot = kein erwiesener Nutzen

Topische Corticosteroide (Cortison-Salbe)

 

Topische Corticosteroide haben in der Behandlung der Steißbeinfistel in der Regel keinen Stellenwert, da sie primär entzündungshemmend wirken und keine direkte Wirkung auf die Ursachen der Fistel, wie etwa Haarwachstum oder Infektionen, haben. In speziellen Fällen, bei denen eine Mischform mit Akne inversa oder Hidradenitis suppurativa vorliegt, können Corticosteroide jedoch hilfreich sein. Sie können die systemische Entzündungskomponente dieser Erkrankungen reduzieren und dadurch die akute Entzündungsreaktion lindern. 

Die am häufigsten verwendeten Wirkstoffe in aufsteigender Wirkungsstärke sind:

 

  • Hydrocortison: Hydrocortison ist ein mildes Kortikosteroid, das oft zur Behandlung von Hautentzündungen, Juckreiz und Hautausschlägen eingesetzt wird. Es wirkt, indem es die Freisetzung von Entzündungsstoffen hemmt und die Entzündungsreaktion in der Haut reduziert. Hydrocortison-Salben sind oft rezeptfrei erhältlich.
  • Prednisolon: Prednisolon gehört ebenfalls zur Gruppe der Kortikosteroide und hat eine noch stärkere entzündungshemmende Wirkung als Hydrocortison. Die Verwendung von Prednisolon-Salben erfordert in der Regel eine ärztliche Verschreibung und eine sorgfältige Anwendung, um Nebenwirkungen zu minimieren.
  • Triamcinolon: Triamcinolon ist ein mittelstarkes bis starkes Kortikosteroid, das zur Behandlung von entzündlichen Hauterkrankungen wie Ekzemen, Psoriasis und allergischen Reaktionen eingesetzt wird. 
  • Betamethason: Betamethason ist eines der stärksten Kortikosteroide, das zur Behandlung von schweren Hautentzündungen, wie sie bei Ekzemen, Psoriasis und anderen chronischen Hauterkrankungen auftreten können, verwendet wird. Es hat eine ausgeprägte entzündungshemmende Wirkung und wird oft bei hartnäckigen oder schwer zu kontrollierenden Hautproblemen eingesetzt. Wie bei Prednisolon ist eine ärztliche Verschreibung für Betamethason-Salben erforderlich, und sie sollten mit Vorsicht angewendet werden.

Rot = kein erwiesener Nutzen

Naturheilmittel

Manuka Honig zur Wundversorgung
Honigglas mit Manuka Blüten aus Neuseeland (Leptospermum scoparium. Foto: istockphoto.com)

Manuka Honig

 

Honig wurde schon von den Sumerern und Ägyptern im Altertum als Wundsalbe benutzt. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Honig
  • die Reinigung von Wunden begünstigt
  • durch seinen sauren pH Wert von 3,2 – 4,5 die Sauerstoffabgabe im Gewebe verbessert
  • Mediatoren der Entzündung vermindert
  • Heilung und Gewebsregeneration fördert und
  • antibakteriell auch gegen Problemkeime wie methicillin-resistente Staphylokokken und Pseudomonas wirkt (Curtis).

Die aktive Substanz des Manuka Honigs von den Blüten des Manuka-Busches ist nicht wie bei anderen Honigsorten Wasserstoff-Peroxid, sondern das besser gewebsverträgliche  Methylglyoxal (MGO). Die antimikrobielle Wirkung wird in UMF® (Unique antimicrobial Manuka Factor) angegeben, für die medizinische Anwendung wird Honig mit einem UMF > 10 empfohlen. Allerdings scheint die Wirkung auch von anderen Faktoren wie der Lagerungsdauer abzuhängen, wie eine Studie mit verschiedenen UMF-Qualitäten zeigte.

Medizinischer Honig wird filtriert und gammasterilisiert. So werden Bakterien und Sporen abgetötet und gleichzeitig die biologische Wirksamkeit erhalten. Speisehonig ist in der Regel erhitzt und verliert dabei viel von seiner nützlichen Aktivität.

Es sind Zubereitungen von medizinischem Manuka Honig in Tuben (z.B. MediHoney®), in Verbindung mit Alginat (Algivon Plus®) oder Gaze (Actilite®) verfügbar.

Der Nutzen von Honig in der Wundbehandlung  scheint am größten in der frühen Phase der Wundreinigung. Nach einer Cochrane-Analyse heilen mit Manuka-Honig behandelte, infizierte post-operative Wunden schneller als bei Therapie mit Antiseptika und Gaze, was z.B. die Behandlung von Wundheilungsstörungen nach konventioneller Radikaloperation als ein sinnvolles Einsatzgebiet erscheinen lässt. Die DGfW konnte sich in ihrer allerdings schon 2014 verabschiedeten S-3 Leitlinie nicht zu einer Empfehlung durchringen, da in den vorhandenen Studien bislang kein sicherer Nutzen, jedoch vermehrt Schmerzen nachgewiesen wurden.

Gelb = geeignet unter bestimmten Umständen

Auf der Basis der Literatur scheint medizinischer Honig eine Option, wenn eine genähte Wunde wieder aufgeplatzt ist oder eine offene Wunde nicht heilen will. Eigene Erfahrungen mit Honig haben wir bislang nicht.

Andere Länder, andere Sitten: Aus aller Welt

Ayurvedische Medizin

 

Traditionell werden in der ayurvedischen Medizin mit Pflanzenextrakten und Salzen imprägnierte Fadendrainagen zur Fistelbehandlung verwendet. Eine Publikation findet sich zu einer Kombination aus chirurgischer Ausschneidung, Verödung mit heißem Öl und Aufbringen von Kupfersulfat. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesen Methoden lassen nur die anekdotische Erwähnung, aber keine Beurteilung des Verfahrens zu.

Vaseline, Henna und Tetracyclin - die Mischung aus dem Irak

(in Deutschland nicht verfügbar)

Von der Universität Sulaimani in Kurdistan wurde eine randomisierte Studie an 400 Patienten veröffentlicht. In der Therapiegruppe wurde eine Mischung aus 100 g Vaseline, 50 g Henna Pulver (Lawsonia inermis) und 5 g Tetracyclin in den Fistelgang injiziert. In der Kontrollgruppe erfolgte die Ausschneidung der Fistel mit primärem Wundverschluss. Als Heilungsraten wurden 94 % für die Operation und 89 % für die Salbeninjektion angegeben. Leider habe ich in der Arbeit keine Information zur Nachuntersuchungsrate und dem Beobachtungszeitraum gefunden. Fazit: Unkonventionelle Idee, Beurteilung nicht möglich.

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Chemische Formel von Phenol © Von NEUROtiker

Phenol Instillation

(in Deutschland nicht verfügbar)

Die Methode wurde erstmals 1964 von Lawrence und Greenwood beschrieben, die eine Heilungsrate von 84 % angaben. Girgin berichtet über eine Erfolgsrate von 64,5 % bei einmaliger und von 95 % bei wiederholter Anwendung von kristallinem Phenol zur Behandlung des Fistelgangs. Dabei erfolgt die Therapie in Lokalanästhesie: Zunächst werden Haare mit einem Klemmchen aus dem Fistelgang entfernt, der Gang wird anschließend gespült. Während der gesamten Heilungsphase wird die Umgebung konsequent haarfrei gehalten.

In der Türkei ist die Anwendung von Phenol weit verbreitet. Auf dem Weltkongress der Pilonidal Society in Istanbul im Jahr 2024 wurden mehr als 20 Vorträge zu dieser Therapieform präsentiert. Allerdings ist die Verwendung von Phenol nach deutschem Arzneimittelrecht nicht mehr zulässig (Negativmonographie Pharm. Ztg. 143 (1997), 4103 und 4386). Phenol gilt als giftig und kann Haut sowie Schleimhäute reizen.

Die begleitenden Maßnahmen ähneln den Prinzipien eines zurückhaltenden Pit Picking. Ein zusätzlicher therapeutischer Nutzen durch den Einsatz von Phenol erscheint mir nicht hinreichend bewiesen.

Rot = nicht empfehlenswert und nicht verfügbar

Eine ausführliche Darstellung finden Sie in der Info-Box im nächsten Absatz.

Stellungnahme des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)

Die Phenollösung (meist 80%iges kristallines Phenol) soll eine entzündliche Reaktion mit nachfolgender Vernarbung in den Fisteln auslösen und zu deren Abheilung führen. [1]

Phenol-haltige Arzneimittel sind in Deutschland wegen der hohen Toxizität und einer möglichen Resorption des Phenols nicht zugelassen. In Deutschland ist Phenol von der Arzneimittelkommission im Mai 2018 als bedenklicher und mit wenigen Ausnahmen verbotener Wirkstoff in Rezepturen eingestuft worden.

Gemäß der von der Europäischen Union genehmigten harmonisierten Einstufung und Kennzeichnung (CLP00) ist Phenol toxisch beim Verschlucken, ist giftig bei Berührung mit der Haut, verursacht schwere Hautverbrennungen und Augenschäden, ist giftig beim Einatmen, steht im Verdacht, genetische Defekte zu verursachen und kann bei längerer oder wiederholter Exposition zu Organschäden führen und ist giftig für Wasserorganismen mit lange anhaltendem Effekt [2]
.

Zu Phenol liegt eine im Rahmen der behördlichen Überprüfung der Altarzneimittel erstellte Aufbereitungsmonographie mit dem Ergebnis einer negativen Bewertung des Nutzen-/Risiko-Verhältnisses bei therapeutischer Anwendung vor. Die Aufbereitungsmonographie Phenol wurde 1991 durch die Kommission B 7 beim Bundesgesundheitsamts erstellt [3], [4].
Die Negativmonographie betraf phenolhaltige Fertigarzneimittel mit den Indikationsgebieten Mundwasser bzw. Gurgelwasser zur Behandlung entzündlicher und bakterieller Erkrankungen im Mund- und Rachenraum, Karbolsäure-Watte mit einem Phenolgehalt von 3 % zur Wundbehandlung und Hautdesinfektion sowie phenolhaltige Wundsalbe.

Die Toxizität von Phenol wird in der Monographie wie folgt beschrieben:

….
Wirkspektrum und Wirkmechanismus

Phenol ist gegen die vegetativen Formen grampositiver und gramnegativer Bakterien wirksam. Sporen und säurefeste Bakterien werden nicht angegriffen. In Konzentrationen von 0,2 — 1% wirkt es bakteriostatisch, in höheren Konzentrationen bakterizid. Konzentrationen von mindestens 3 % wirken nekrotisierend, 5 %ige Lösungen lokalanästhetisch.
Phenol ist ein starkes Protoplasmagift. Das zunächst an der Zelloberfläche adsorbiert wird, durch Lipoide gelöst anschließend in die Zelle eindringt…Phenol greift auch die Zellwand an…

Pharmakokinetik
Phenol wird durch die Haut und Schleimhaut gut resorbiert.
Durch Glukuronidierung und Sulfatierung erfolgt die Metabolisierung. In kleinen Mengen entsteht Hydrochinon, welches ebenfalls konjugiert wird, sowie Chinon. Die Metaboliten und teilweise auch unverandertes Phenol werden renal ausgeschieden.

Nach oraler Gabe an Kaninchen wurden die höchsten Werte nach 15 Minuten in der Leber gefunden. Nach ca. 80 Minuten ist eine gleichmäßige Verteilung in Leber, Blut, Nieren, Lungen, Herz, Testes, Thymus und Milz nachzuweisen…

Toxikologie
Sehr geringe Mengen Phenol können Nausea, Erbrechen, Krämpfe, Konvulsionen und Koma verursachen. Verfärbungen des Urins, Nekrosen im Mundbereich und Gastrointestinaltrakt, Ikterus und Exitus infolge Versagen der Atemfunktion und Herztätigkeit können konzentrationsabhängig auftreten. Letale Dosen liegen bei etwa 15 g, allerdings wird auch von wesentlich geringeren Dosierungen im Bereich von 1g berichtet. Wird Phenol großflächig auf die Haut gebracht, so können durch Resorption tödliche Vergiftungen auftreten. Chronische Intoxikationen sind durch Nieren- und Leberschädigungen gekennzeichnet…

Mutagenitätsstudien zeigen, dass Phenol ein Genmutation-induzierendes Potential besitzt, dessen Relevanz fraglich ist, da Effekte erst in hohen Konzentrationen (ab 10³ M) auftreten.  In-vitro Untersuchungen ergaben bis auf zwei Ausnahmen, die jedoch irrelevant erscheinen, keine Hinweise auf ein mutagenes Potential.

Positive In-vitro und negative In-vivo-Befunde lassen sich möglicherweise darauf zurückführen, dass Phenol in-vitro zum mutagenen Hydrochinon oxidiert wird und nicht, wie aus in-vitro Untersuchungen vom Menschen bekannt ist, glukoronidiert und rasch ausgeschieden wird.

Zwei von insgesamt sechs Kanzerogenitätsstudien an Ratten- bzw. Mäusestämmen ergaben unabgeklärte Hinweise auf ein kanzerogenes Potential von Phenol. Durch In-vivo-Untersuchungen an Mäusen konnte gezeigt werden, dass Phenol ein tumorpromovierendes Potential besitzt.
Ein kanzerogenes Potential von Phenol lässt sich nicht mit Sicherheit ausschließen.

Klinische Angaben

I. Anwendungsgebiete

Als Mundwasser bzw. Gurgelwasser zur Behandlung entzündlicher und bakterieller Erkrankungen im Mund- und Rachenraum
Karbolsäure-Watte mit einem Phenolgehalt von 3 % zur Wundbehandlung und Hautdesinfektion Wundsalbe

Für eine positive Bewertung der o.a. Indikationen reichen die vorgelegten Belege nicht aus. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist die Verwendung von Phenol zu therapeutischen Zwecken wie z.B. zur Haut- und Wunddesinfektion und zur Behandlung von Hämorhoidalleiden nicht gerechtfertigt. In Anbetracht des relativ hohen toxikologischen Potentials darf Phenol nicht als Wirkstoff verwendet werden.

II. Risiken:
Lokale Reizungen von Haut und Schleimhäuten.
Großflächige Anwendung führt zur systemischen Wirkung, die sich in Methämoglobinämie und Konvulsionen äußerst.
Dies gilt insbesondere für Säuglinge und Kinder.
Auch wiederholte, lokale Behandlung mit 1-2 %igem Phenol kann bei älteren Menschen zu Schwindel und Kollaps führen. In Folge der systemischen Toxizität tritt eine ZNS-Stimulation mit Muskeltremor und Krämpfen ein.
Bei Einnahme geringer Mengen Phenol können Übelkeit, Kreislaufstörungen, Paralysis, Krämpfe, Koma Nekrosen im Mund- und Rachenraum auftreten. Höhere Konzentrationen von über 3 % rufen Nekrosen hervor, die wegen der lokalanästhetischen Wirkung von Phenol weitgehend schmerzfrei entstehen können.
Infolge des guten Penetrationsvermögens durch die Haut können resorptive Vergiftungen mit Nierenschädigung oder zentralnervösen Störungen ausgelöst werden.

Die antibakteriell und ätzenden Eigenschaften von Phenol werden durch Glycerol, Öle und Fette vermindert…“

Gesamtbeurteilung
Aufgrund fehlender kontrollierter Studien über den Wirkungsnachweis und angesichts des relativ hohen toxikogischen Risikos darf Phenol zu therapeutischen Zwecken nicht angewendet werden...“

Auf Grund der Aufbereitungsmonographie hat die Arzneimittelkommission Phenol als bedenklichen Wirkstoff in Rezepturen eingestuft. Als Risiken werden Methämoglobinbildung, Krämpfe und Reizung von Haut- und Schleimhäuten angeführt (siehe Liste der „Bedenklichen Rezepturarzneimittel“, Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, Stand Mai 2018) [5]. Diese Liste der bedenklichen Rezepturarzneimittel ist auch auf der Homepage der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (www.akdae.de) verfügbar. Die AMK weist darauf hin, dass die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) die Mitteilung und Liste der AMK zustimmend zur Kenntnis genommen hat.

Laut §5 Abs. 1 Arzneimittelgesetz ist es verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder am Menschen anzuwenden. Als Ausnahme von der Bedenklichkeit von Phenol als Wirkstoff in Rezepturen sieht die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker seit Jahren „Spezialanwendungen, bei denen Phenol jeweils nur einmal bzw. in geringer Menge angewandt wird (Sklerosierung, Peeling, Nagelextraktion)“. [5]  In der Rezeptur-Datenbank – Phenol, Stand: 03.01.2024 (DAC/NRF) heißt es hierzu:…“Phenol ist als arzneilich wirksamer Bestandteil in Dermatika meist als bedenklich im Sinne § 5 AMG anzusehen. … Somit verbietet sich mit wenigen ausdrücklich benannten sonstigen Ausnahmen [Peeling, Nagelextraktion, Nervenblockade durch Injektion, Sklerotherapie bei Hämorrhoiden, s. Phenol-Erdnussöl-Injektionslösung 5 % (NRF 5.3.)] auch die Verwendung in fast allen Rezepturarzneimitteln zur Anwendung auf Haut und Schleimhaut...“.

Das BfArM hatte zuvor im Jahr 1998 konkretisierend eine Stellungnahme abgegeben zur Sklerosierung von Hämorrhoiden mit 5%iger öliger phenol-haltiger Lösung als Rezeptur (Phenol-Erdnuss-Injektionslösung 5%, NRF 5.3).
Eine Sklerosierung von Hämorrhoiden mit 5%iger öliger phenol-haltiger Lösung wurde vom BfArM als medizinisch vertretbar angesehen mit dem Hinweis, eine unbedingt notwendige individuelle Nutzen-Risiko-Bewertung durch den behandelnden Arzt durchzuführen. Die Stellungnahme des BfArM ist im Wesentlichen wiedergegeben in der AMK-Information 255/50/98, „Phenol-haltige Sklerosierungslösungen“ [6] :

„..Fünfprozentige ölige Phenol-Lösungen werden hauptsächlich zur Sklerosierung der inneren Hämorrhoiden, aber auch als neurolytisches Agens bei chronischem Schmerzzustand verwendet. Bei der Sklerosierungsbehandlung von Hämorrhoiden soll die Rezidivquote von Phenol niedriger sein als die von Alternativarzneimitteln, zum Beispiel Polidocanol.

In vitro wurden für Phenol schwach genotoxische und zelltransformierende Eigenschaften nach-gewiesen. In vivo (Tierversuch) dagegen war ein schwach mutagener Effekt nur unter extremen Expositionsbedingungen nachweisbar. Diese Diskrepanz wird mit dem Metabolismus von Phenol erklärt: In vivo wird Phenol zu den reaktiven, genotoxischen Metaboliten Hydrochinon und Catechol hydroxyliert und anschließend durch Sulfatierung und Glucuronidierung entgiftet und ausscheidungsfähig gemacht. In vitro unterbleiben die entgiftenden Konjugationsreaktionen, so dass die genotoxischen Effekte in vitro als Folge der unvollständigen Metabolisierung anzusehen sind. Bei einmaliger Applikation beziehungsweise bei Applikation in längeren Abstanden ist ein genotoxisches und kanzerogenes Risiko von Phenol für den Menschen nicht sehr wahrscheinlich.

Die Phenol-Sklerosierungslösung hat stark reizende und nekrotisierende Eigenschaften. Die lokalen und systemischen Folgen bei versehentlicher intravasaler oder intramuskulärer Fehlapplikation sind nicht geklärt. Diese Risiken sind auch bei einmaliger Anwendung bedeutsam. Das BfArM kommt zu dem Schluss, dass die Anwendung öliger fünfprozentiger Phenol-Lösungen zur Sklerosierung medizinisch vertretbar ist. Die individuelle Nutzen/Risiko-Bewertung durch den behandelnden Arzt ist aber eine unbedingte Voraussetzung.“

Die entgegen der allgemeinen negativen Nutzen-Risiko-Beurteilung bzw. der grundsätzlich unter- stellten Bedenklichkeit getroffene Entscheidung für die Phenol-haltige Zubereitung sollte dokumentiert werden. Der Arzt muss über die Problematik betreffend Phenol und risikoärmere Alternativen informiert sein. Der Arzt soll auch den Patienten über die Ausnahmesituation eines individuellen Heilversuchs umfassend aufklären (siehe DAC/NRF: Rezepturhinweise-Datenbank – Phenol, Stand: 03.01.2024). DAC/NRF: Rezepturhinweise-Datenbank – Phenol, Stand: 03.01.2024).

Die Rezeptur NRF 5.3, Phenol-Erdnuss-Injektionslösung 5%, bezieht sich ausschließlich auf die Anwendung „Zur Sklerotherapie von Hämorrhoiden“. Hier ist unter anderem vermerkt, dass der Apotheker vor Herstellung der Phenol-Erdnuss-Injektionslösung 5% zur Sklerotherapie durch Rücksprache mit dem Arzt sicherstellen muss, dass dieser eineindividuelle Nutzen/Risiko-Bewertung vorgenommen hat und Alternativen erwogen hat.

Die aktuelle AWMF S3-Leitlinie „Hämorrhoidalleiden“, 2019, AWMF-Registriernummer: 081–009 [7], weist bezüglich der Anwendung von Phenol-Lösung zur Sklerosierung von Hämorrhoiden darauf hin, dass diese in der Eigenverantwortung des Arztes liegt, und dass Sklerosierungs-Substanzen mit geringerer Nebenwirkungsrate zur Verfügung stehen. Es besteht starker, übereinstimmender Experten-Konsensus, dass als Sklerosierungs-Substanz bei Hämorrhoiden aufgrund seines geringen Nebenwirkungs-Potentials Polidocanol in alkoholischer Lösung bevorzugt eingesetzt werden sollte. [7]

In Anbetracht der o. g. Informationen ist ersichtlich, dass die Ausnahmesituation nicht für die 80%ige kristalline Phenollösung zur Behandlung des Sinus pilonidalis gilt. Zudem ist die 80%ige kristalline Phenollösung wesentlich höher konzentriert als Phenol-Erdnuss-Injektionslösung 5%. Folglich ist von deutlich stärkeren toxischen Wirkungen auszugehen. Phenol als Anwendung in Form einer 80%igen kristallinen Phenollösung ist als bedenkliches Arzneimittel anzusehen, das therapeutisch nicht angewendet werden darf.

1] S3-Leitlinie: Sinus pilonidalis. 2. revidierte Fassung 2020; AWMF-Registriernummer: 081–009
[2] https://echa.europa.eu/de/substance-information/-/substanceinfo/100.003.303
[3] Bundesgesundheitsamt: Bekanntmachung über die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln (Aufbereitungsmonographien für den humanmedizinischen Bereich) vom 22. April 1991, In: BAnz 43 (1991) Nr. 97 vom 29. Mai 1991, S. 3510-3511
[4] Amtliche Bekanntmachung: Aufbereitungsmonographien Kommission B 7: Bundesgesundheitsamt: Bekanntmachung über die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln (Aufbereitungsmonographien für den humanmedizinischen Bereich) vom 22. April 1991; In: Pharm. Ztg. Nr. 28, 136 (1991), S. 75
[5] https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimittelsicherheit/Weitere/Bedenkliche-Rezepturarzneimittel.pdf
[6] AMK-Information 255/50/98, Phenol-haltige Sklerosierungslösungen. Pharm. Ztg. Nr. 50, 143 (1998), S. 4322
[7] S3-Leitlinie: Hämorrhoidalleiden, 2019, AWMF-Registriernummer: 081–009

Unsere Empfehlungs-Ampel

Grün = empfehlenswert
Gelb = geeignet unter bestimmten Umständen
Rot = nicht empfehlenswert oder nicht verfügbar

DR. BERNHARD HOFER & FLORIAN LIEBL

Fachärzte für Viszeralchirurgie und Proktologie – PartG mbB

Brienner Str. 13, D-80333 München

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