Steißbeinfistel? Warum Sie das unbedingt lesen sollten, bevor Sie sich "radikal" operieren lassen!

Die radikale Ausschneidung der Steißbeinfistel – ein Auslaufmodell der Chirurgie: Die von Patienten auch “Metzger-Methode” genannte Technik beschreibt ein veraltetes Operationsverfahren, bei dem das gesamte Fistelgewebe mitsamt einem großzügigen Sicherheitsabstand radikal bis auf das Steißbein herausgeschnitten wird. Diese brachiale Technik stammt aus einer Zeit, in der man glaubte, nur durch maximale Entfernung eine Heilung erreichen zu können – selbst wenn dies mit monatelangen Schmerzen, Komplikationen und Arbeitsausfällen für die Patientinnen und Patienten einherging.

Heute wissen wir es besser: Dieses Verfahren ist unnötig. Es verursacht größere Wunden, längere Heilungsverläufe, stärkere Schmerzen und ein höheres Risiko für chronisch nicht heilende Wunden.
Aus guten Gründen gehört diese Methode daher in das Archiv der Medizingeschichte. Im Folgenden erläutern wir den Ablauf, die Nachsorge und die typischen Herausforderungen dieser veralteten Technik – vor allem, um transparent zu machen, warum wir in unserer Praxis bewusst auf moderne, minimalinvasive Verfahren setzen.

Was versteht man unter der radikalen Exzision ("Metzger" Methode)

Bei dieser herkömmlichen Operationstechnik eines Sinus pilonidalis wird das erkrankte Gewebe mit einer spindel- oder wetzsteinförmigen Schnittführung entfernt. In der Fachsprache spricht man von einer Exzision, also einer vollständigen Ausschneidung des Fistelgangs mitsamt dem umliegenden Gewebe. Die Wunde bleibt anschließend offen und soll sekundär verheilen.

Die Operation verläuft typischerweise in folgenden Schritten:

  1. Vorbereitung und Anästhesie: Der Eingriff erfolgt meist in Vollnarkose oder Spinalanästhesie. Der Patient wird in Bauchlage gelagert, die Haut wird gründlich desinfiziert und der OP-Bereich steril abgedeckt.
  2. Fistelmarkierung: Viele Chirurgen nutzen zu Beginn einen blauen Farbstoff, um die Ausdehnung der Fistel besser darzustellen. Unsere Einschätzung: Der intensiv gefärbte Farbstoff kann die natürlichen Kontraste zwischen Fistelkapsel (weiß), Fettgewebe (gelb) und Granulationsgewebe (rot) überdecken und dadurch eher hinderlich als hilfreich sein.
  3. Ausschneidung des Gewebes: Das betroffene Gewebe wird in spindelförmiger Form – ähnlich einem Wetzstein – bis auf die Knochenhaut (Faszie) entfernt, meist mit Skalpell oder Elektromesser. Unsere Erfahrung: Wird zu tief geschnitten und die Knochenhaut verletzt oder mit entfernt, steigt das Risiko für chronische Schmerzen deutlich. Dies sollte unbedingt vermieden werden.
  4. Tamponade der Wunde: Anschließend wird die Wunde mit sterilen Kompressen oder jodoformgetränkten Tamponaden ausgefüllt, um die Wundheilung zu unterstützen. Unsere Einschätzung: Der Nutzen solcher Tamponaden ist fraglich – der regelmäßige Wechsel ist schmerzhaft, aufwändig und in vielen Fällen vermeidbar.
  5. Nachsorge mit offener Wundbehandlung: Die oft mehr als 10 cm lange und bis zu 5 cm breite Wunde soll sekundär ausheilen – also sich von der Tiefe her mit Granulationsgewebe füllen. Patienten werden angewiesen, die Wunde mehrmals täglich zu duschen, um sie sauber zu halten und das Einwachsen von Gewebe zu fördern.
Schematische Darstellung Metzger Methode
Radikale, "wetzstein" - förmige Ausschneidung mit offener Wundbehandlung
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Medizinische Abbildung

Warum wir diese Operationsmethode (fast) nie anwenden

Für die radikale Ausschneidung des Sinus pilonidalis sprechen aus unserer Sicht nur die für den Chiurgen einfache Operationstechnik und damit verbunden flächendeckend Verfügbarkeit. Demgegenüber ist sie mit zahlreichen Nachteilen und unnötigen Belastungen für die Patientinnen und Patienten verbunden. Im Einzelnen:

  • Perioperative Risiken: Eine Nachblutung, die eine operative Revision erfordert, ist keine Seltenheit. Deshalb ist eine stationäre Überwachung notwendig – eine ambulante Durchführung halten wir unter diesem Gesichtspunkt für nicht verantwortbar.
  • Starke Schmerzen: Die postoperativen Schmerzen sind oft nur mit intensiver Schmerzmittelgabe (z. B. über Infusion) beherrschbar. Auch das spricht klar gegen eine ambulante Versorgung.
  • Eingeschränkte Alltagsfähigkeit: Die großflächige Wunde erlaubt in den ersten Wochen nur eine stark eingeschränkte Mobilität und Alltagsbewältigung.
  • Aufwändige Wundversorgung: Häufige und teils schmerzhafte Verbandswechsel, meist durch medizinisches Fachpersonal, führen zu einem hohen Pflegebedarf und einer starken Abhängigkeit.
  • Lange Ausfallzeiten: Patienten müssen mit einer mehrwöchigen bis mehrmonatigen Arbeits- und Sportunfähigkeit rechnen – ein erheblicher Einschnitt in Beruf und Privatleben.
  • Haarproblematik als Heilungsrisiko: Ohne konsequente Kontrolle nachwachsender Haare kommt es häufig zu Wundheilungsstörungen, Frührezidiven oder Abszessbildungen. Eine Rasur ist jedoch in der schmerzhaften Frühphase oft nicht praktikabel.
  • Langwierige Verläufe ohne echte Perspektive: Viele Patient:innen werden über Wochen und Monate vertröstet, obwohl früh erkennbar ist, dass keine echte Heilung eintritt. In solchen Fällen folgt oft ein zweiter Eingriff – meist noch ausgedehnter.
  • Operation ohne Rückzugsoption: Wird bei erneuten Eingriffen weiter radikal geschnitten, bleibt manchmal kein ausreichender Abstand zum Anus für eine spätere Rekonstruktion. Die chirurgischen Möglichkeiten sind dann deutlich eingeschränkt.
  • Soziale und emotionale Belastung: Eine nässende, eventuell übelriechende Wunde stellt nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein psychosoziales Problem dar – insbesondere im beruflichen, partnerschaftlichen und zwischenmenschlichen Kontext.

Ausnahme: Akne inversa

Die Akne inversa, auch Hidradenitis suppurativa genannt, ist eine chronisch-rezidivierende, entzündliche Erkrankung der Haarfollikel, die bevorzugt in intertriginösen Arealen (Achseln, Leisten, Anogenitalregion, submammär) auftritt. Klinisch zeigen sich schmerzhafte Knoten, Abszesse, Fistelgänge und Narben, oft mit erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Pathogenetisch gilt die Erkrankung heute als autoinflammatorisch, mit einer Fehlregulation angeborener Immunreaktionen. Insbesondere sind IL-1β, IL-17, TNF-α und IL-23 als zentrale proinflammatorische Zytokine identifiziert, was den Einsatz zielgerichteter Biologika (z. B. Adalimumab, IL-17- oder IL-1-Inhibitoren) erklärt.

Neuere Studien zeigen, dass die Entzündung nicht auf die Haarfollikel oder Talgdrüsen beschränkt ist: Sie betrifft die gesamte Haarfollikeleinheit sowie angrenzende epidermale und dermale Anteile, einschließlich der epidermalen Infiltration, verbreiterten interzellulären Räume, und tiefreichender destruktiver Prozesse in der Dermis

Daher haben bei dieser Fistelerkrankung trotz Ähnlichkeit zur Steißbeinfistel minimal-invasive Konzepte keinen Stellenwert und bei anderweitig nicht zu kontrollierender Entzündung kann eine vollständige Ausschneidung sinnvoll sein. Vor einer eingreifenden, chirurgischen Maßnahme sollten aber

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